Wenn alles anders kommt: Improvisation in der Supervision

Manchmal läuft in der Supervision nicht alles nach Plan – und genau das macht diese Arbeit so lebendig und bedeutsam. Kürzlich hatte ich eine Sitzung mit einer Supervisionsgruppe, bei der ich mich auf eine klassische Fallbearbeitung vorbereitet hatte. Ich erwartete eine Diskussion über berufliche Herausforderungen, typische Konflikte im Arbeitsalltag oder vielleicht eine Teamdynamik, die durchleuchtet werden sollte. Doch es kam anders.

Ein unerwarteter Wendepunkt

Bereits nach den ersten Minuten der Sitzung spürte ich, dass etwas in der Luft lag. Die Energie im Raum war angespannt, der Austausch der Teilnehmenden zögerlich, fast gehemmt. Als ich den Raum für ein Thema öffnete, begann eine Teilnehmerin plötzlich zu weinen. Ihre Worte brachen eine Welle los: Existenzielle Sorgen über den Fortbestand des Vereins kamen zur Sprache. Die Gruppe sprach über Unsicherheiten, Belastungen und Zukunftsängste, die sie offensichtlich schon länger begleiteten, jedoch bislang unausgesprochen geblieben waren.

Plötzlich war klar: Hier ging es nicht um die Bearbeitung eines einzelnen Falls, sondern um das Überleben des Vereins – und um den emotionalen Druck, den diese Situation auf die Menschen ausübte.

Der Moment der Improvisation

In solchen Momenten ist es entscheidend, flexibel zu sein und die eigene Agenda zurückzustellen. Statt die ursprünglich geplante Fallbearbeitung durchzuführen, habe ich mich entschieden, der Gruppe das zu geben, was sie in diesem Moment am meisten brauchte: einen Raum für offene Kommunikation und gegenseitige Unterstützung.

  • Halten und Aushalten: Es war wichtig, den emotionalen Raum zu halten. Tränen und Frust bekamen ihren Platz, ohne dass sie sofort „gelöst“ werden mussten.

  • Klärung und Struktur: Nachdem die Emotionen sich etwas gelegt hatten, half ich der Gruppe dabei, ihre Sorgen zu sortieren. Was genau waren die existenziellen Probleme? Welche Ressourcen könnten mobilisiert werden?

  • Stärkung der Gemeinschaft: Wir arbeiteten an einer vertrauensvollen Atmosphäre. Einfache Übungen wie „Was brauche ich von der Gruppe, um hier und jetzt gut arbeiten zu können?“ halfen, die Dynamik zu stabilisieren.

Aufbauen statt Abreißen

Nach und nach spürte ich, wie die Gruppe wieder Kraft sammelte. Die Teilnehmenden begannen, sich gegenseitig zu unterstützen und erste Ideen zu entwickeln, wie sie die Situation bewältigen könnten. Mein Fokus lag darauf, den Blick auf das Machbare zu richten:

  • Welche Ressourcen im Team oder im Netzwerk des Vereins könnten genutzt werden?

  • Welche kleinen Schritte wären kurzfristig möglich, um die Situation zu stabilisieren?

Dabei wurde mir erneut bewusst, wie wichtig es ist, Supervision nicht nur als Raum für Problemlösung, sondern auch als Ort der Selbststärkung und des gemeinsamen Wachstums zu sehen.

Reflexion: Was ich gelernt habe

Dieser Tag hat mir erneut gezeigt, dass es in der Supervision weniger um perfekte Methoden als um authentische Begegnungen geht. Flexibilität und Improvisation sind entscheidend, wenn Pläne nicht greifen.

Manchmal ist es wichtiger, Tränen Raum zu geben, als Lösungen zu finden. Denn erst wenn die Gefühle ausgesprochen sind, können die Menschen in der Gruppe wieder einen klaren Blick auf ihre Möglichkeiten entwickeln.

Fazit

Supervision lebt von der Fähigkeit, das Unerwartete anzunehmen und darauf zu reagieren. Dieser Tag hat mich daran erinnert, warum ich diese Arbeit liebe: Sie fordert nicht nur mein fachliches Können, sondern auch mein Menschsein. Und genau darin liegt ihre Kraft.

Hast du ähnliche Erfahrungen in deiner Arbeit gemacht, in denen alles anders lief als gedacht? Ich freue mich, von deinen Geschichten zu hören – denn letztlich lernen wir alle durch den Austausch.

Herzliche Grüße,

Madina

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